Nach Annahme des Mantelerlasses: Was ist zu erwarten?
Newsletter 03 | 2024
- Editorial
- Nach Annahme des Mantelerlasses: Was ist zu erwarten?
- Die Anlagestrategie im 3. Quartal 2024
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser
Irgendwie habe ich den Eindruck, dass das laufende Jahr lediglich dahinplätschert, aber nicht wirklich dafür geschaffen ist, etwas Bewegendes zu erreichen:
Wir haben uns an den Krieg in der Ukraine gewöhnt. Der Konflikt im Gazastreifen und dessen Ursachen interessieren uns kaum noch. In den USA streiten sich zwei alte Männer, von denen einer noch älter ist als der andere, um die Präsidentschaft. Das gefühlt überlegene Europa beschäftigt sich wieder einmal mit sich selbst, wobei grossmäulige Staatsmänner Neuwahlen provozieren, ohne zu wissen, was sie damit eigentlich erreichen wollen. Und am Ende der politischen Räson angekommen, wird zu irgendeinem Thema eine internationale Konferenz einberufen.
In Anbetracht dessen bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass es besser ist, seine eigenen Gedanken zu ordnen und für sich selbst Konklusionen zu ziehen, anstatt den Spindoktoren zu folgen. Dabei kommt man zu interessanten Erkenntnissen. So beschäftigt mich seit Jahren die Frage, wieso Europa und die USA eigentlich immer wieder auf Sanktionen setzen, im Wissen, dass sie damit fast nichts erreichen, ausser Leid beim normalen Volk herbeizuführen. Dazu einige Beispiele:
Gegen Nordkorea werden seit rund 70 Jahren Sanktionen verhängt, die Nordkorea bislang nicht daran hinderten, die militärische Aufrüstung sehr effizient weiter zu betreiben. Gegen den Iran bestehen seit rund 40 Jahren Sanktionen, trotzdem ist das Land zu einer nicht zu unterschätzenden Macht im Nahen Osten geworden. Die finanziellen Mittel des Iran reichen immer noch aus, um eine Vielzahl von skurrilen Organisationen zu finanzieren, deren Machteinfluss mittlerweile bis nach Europa reicht. Russland führt immer noch Krieg gegen die Ukraine und inzwischen weiss fast jeder, dass das Sanktionsregime so löchrig ist, dass es in dieser Version nie seine Ziele erreichen kann.
Ich will mit diesen Ausführungen nicht ins Lager jener wechseln, die blind den Spindoktoren Russlands folgen. Vielmehr will ich dazu anregen, dass die Politiker versuchen sollten, die gängigen Pfade gescheiterter Politik zu verlassen und neue Wege zu gehen.
Auch von den Unternehmern wird verlangt, dass wir uns immer wieder den Gegebenheiten des Marktes anpassen und mit innovativen Ideen die entsprechenden Bedürfnisse befriedigen können. Gerade deshalb bin ich gespannt darauf, ob Argentinien es mit seinem unkonventionellen Präsidenten schaffen wird, das Land und den Stolz der Bevölkerung wieder aufzurichten. Veränderungen bringen oft schmerzhafte Eingriffe in bestehende Strukturen, häufig ist der kurzfristige Schmerz aber erträglicher als das langfristige Leiden. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen schöne Sommerferien und wagen Sie es, die alten Trampelpfade in den Ferien zu verlassen, nur so werden Sie Ruhe finden.
Martin Wipfli
Nach Annahme des Mantelerlasses: Was ist zu erwarten?
1. Einleitung
In der Abstimmung vom 9. Juni 2024 hat die Schweizer Stimmbevölkerung die Vorlage für eine sichere Stromversorgung (sog. Mantelerlass) mit grosser Mehrheit angenommen. Die Änderung von Stromversorgungs- und Energiegesetz soll rasch mehr Strom aus erneuerbaren Quellen bringen, v.a. auch im Winter, und neue Speicherquellen erschliessen. Dazu sind umfassende Änderungen im Energierecht vorgesehen. Sobald der Bundesrat die nötigen Änderungen auf Verordnungsebene verabschiedet hat, soll der Mantelerlass auf den 1. Januar 2025 in Kraft gesetzt werden. Der Mantelerlass beinhaltet Änderungen einer Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen (daher der Begriff «Mantel»), insbesondere:
Die Elektrizitätslieferanten werden zu einer Effizienzsteigerung im Umfang von 2 Prozent des Referenzstromabsatzes (durchschnittlicher Absatz der drei letzten Jahre) verpflichtet. Mit ihren Effizienzmassnahmen müssen sie sich an den besten verfügbaren Technologien (BVT) orientieren und die Stromeinsparungen plausibel und nachvollziehbar beziffern können. Damit soll ebenfalls die Versorgungssicherheit gestärkt werden.
Die bau- und planungsrechtlichen Rahmenbedingungen bei 16 Wasserkraftprojekten werden gelockert. Diese 16 Projekte haben von Gesetzes wegen grundsätzlich Vorrang gegenüber anderen nationalen Interessen.
Die Verteilnetzbetreiber sind verpflichtet, ihren Kunden in der Grundversorgung ein Produkt anzubieten, das insbesondere auf der Nutzung von inländischer erneuerbarer Energie beruht (Nachweis mittels Herkunftsnachweisen zulässig). Für die Grundversorgung gelten sodann Mindestanteile für Eigenproduktion und Strom aus erneuerbaren Energien. Neu müssen grundsätzlich mindestens 50% der Eigenproduktion (zuzüglich gewisser anderer Quellen) aus erneuerbaren Energien in der Grundversorgung abgesetzt werden und mindestens 20% des Grundversorgungsstroms muss tatsächlich aus inländischen erneuerbaren Quellen stammen (nicht lediglich über Herkunftsnachweise belegt). Hinsichtlich der (Winter-) Energiereserve wird vom Ausschreibungs-auf ein Verpflichtungsmodell für die Wasserkraft gewechselt. Es gilt eine Vorhalteverpflichtung (in Prozent) für alle Speicherseen ab 10 GWh Kapazität, erstmals für den Winter 2024/25. Die Kraftwerksbetreiber erhalten dafür eine moderate Pauschalabgeltung.
Neu ausdrücklich zulässig wird der sog. virtuelle ZEV (Zusammenschluss zum Eigenverbrauch) sein. Sodann wird – analog zum Konzept des ZEV, aber räumlich weiter gefasst – der lokale Absatz von dezentral erzeugter Elektrizität über das öffentliche Netz in Form von sog. Lokalen Elektrizitätsgemeinschaften (LEG) zugelassen, also z.B. in einem Quartier oder in einer ganzen Gemeinde.
Es gibt erhöhte Anforderungen an die Nachweisführung über die Herkunft des Stroms, um die Transparenz und Verlässlichkeit der Angaben zu verbessern. Zudem wird erstmals ein Herkunftsnachweis für flüssige und gasförmige biogene Brenn- und Treibstoffe sowie für nicht biogenen Wasserstoff eingeführt.
2. Handlungsbedarf und Möglichkeiten für wichtige Akteure
Aus den neuen Vorschriften ergeben sich für verschiedene Akteure neue Pflichten, aber auch Möglichkeiten:
a. Industrie- und Grossverbraucher
Nebst den zu erwartenden steigenden Strom- und Netznutzungskosten als indirekte Folge der neuen Pflichten der Grundversorger bzw. Verteilnetzbetreiber sind Industrie und Unternehmen in erster Linie von den neuen Effizienzvorschriften und -programmen betroffen. Effizienzmassnahmen sind für sie interessant, um die Kosten in diesem Bereich zu senken.
Je nach den künftigen Angeboten der Elektrizitätslieferanten können Unternehmen bzw. Grossverbraucher von der Zusammenarbeit mit dem Verteilnetzbetreiber profitieren (z.B. von Energieaudits oder Unterstützung bzw. Beratung hinsichtlich Anlageersatz oder Betriebsoptimierungen). Allerdings mit Einschränkungen: Voraussichtlich nicht anrechenbar sein werden Massnahmen, die bei Endverbrauchern umgesetzt werden, deren Elektrizitätskosten über 20 Prozent der Bruttowertschöpfung ausmachen (Grossverbraucher).
Eine weitere Möglichkeit, die neue Regelung zu nutzen, besteht im Verkauf von netzdienlicher Flexibilität oder von Speichern als Systemdienstleistungen.
b. Immobilienwirtschaft
Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer können unter der geänderten Energiegesetzgebung primär von verschiedenen Förderungen und mehr Möglichkeiten profitieren, müssen aber mit steigenden Stromkosten rechnen und haben vereinzelt neue Pflichten.
So können sie sich vor Ort mit anderen Verbrauchern zu einem ZEV oder der neuen LEG zusammenschliessen und den selbst erzeugten Strom lokal vermarkten. Dabei profitieren sie im Modell der LEG von einem reduzierten Netznutzungsentgelt, wobei der Abschlag von 30% keinen starken Anreiz für dieses Modell setzt, zumal der Administrationsaufwand nicht zu unterschätzen sein dürfte.
Anreize und Chancen bieten auch der erhöhte Bonus bei der Einmalvergütung für Photovoltaik-Anlagen mit einem steileren Neigungswinkel. Dieser wurde stark erhöht, womit Fassadenanlagen gefördert werden sollen. Diese Anlagen werden zudem grundsätzlich von der Baubewilligungspflicht befreit.
Bei neuen Gebäuden mit einer anrechenbaren Gebäudefläche von mehr als 300 m2 besteht eine Solarpflicht: Auf den Dächern oder an den Fassaden solcher Gebäude muss eine Photovoltaik- oder eine Solarthermieanlage erstellt werden. Die Kantone können diese Pflicht auf kleinere Gebäude ausdehnen.
3. Ausblick
Die grosse Zustimmung der Stimmbevölkerung zeigt, dass der Mantelerlass ein gut-schweizerischer Kompromiss ist. Seine Annahme öffnet den Weg für einen forcierten Zubau von erneuerbaren Energien in der Schweiz – zu vermutlich deutlich steigenden Kosten. Der forcierte Zubau zur Produktionssteigerung vor allem im Winterhalbjahr wird in erster Linie durch die gesetzlich bezeichneten Grosswasserkraftwerke getragen und durch die Möglichkeit Solar- und Windanlagen von nationalem Interesse zu bezeichnen bzw. zu realisieren. Die jüngsten Beispiele von abgelehnten Grossanlagen im Rahmen des «Solarexpress» zeigen aber, dass solche regulatorischen Erleichterungen noch keine Garantie für Projekterfolg sind. Notwendig ist deshalb die zusätzlich zum Mantelerlass beabsichtigte Beschleunigung der Planungs- und Bewilligungsverfahren.
Auf der Ebene der Grundversorgung, des Verteilnetzes und der dezentralen Erzeuger setzt die neue Regulierung viele (finanzielle) Anreize und Förderinstrumente, bringt allerdings auch einschneidende Pflichten und Änderungen mit sich. Praxistauglichkeit und -wirksamkeit sind nicht überall evident. So ist unklar, ob die Pflicht der Elektrizitätslieferanten zur Effizienzsteigerung tatsächlich umgesetzt wird und werden kann, oder ob sie vor allem zu einem grossen Administrativaufwand mit wenig Wirkung führt. Der Ansatz auf Verordnungsebene, Standardmassnahmen zu definieren, zeigt deshalb in die richtige Richtung. Es braucht aber letztlich funktionierende (Dienstleistungs-) Produkte der Lieferanten. Auch die neuen Möglichkeiten des virtuellen ZEV und der LEG dürften in der Praxis einiges an Organisation, Koordination und Administration erfordern, was womöglich abschreckt.
Vor diesem Hintergrund ist zwar die beabsichtigte Beschleunigung beim Ausbau der inländischen Energieproduktion und der erneuerbaren Energie zu erwarten, angesichts der hohen Regulierungs- und Administrationsdichte und der Unwägbarkeiten der Projekte wird die Forderung nach mehr Rechtssicherheit jedoch ausgeprägt bleiben. Denn nur mit Rechtssicherheit wird überhaupt investiert in Projekte mit einem Anlagehorizont von über 50 Jahren und mehr. Daher ist es notwendig, dass die Verordnungstexte nun rasch durch die Behörden finalisiert werden und so Klarheit in die unzähligen Einzelfragen gebracht wird, die durch die neuen Regelungen entstehen.
Den Überblick zu behalten und Rechts- und Planungssicherheit zu erhalten, bleibt eine Herausforderung. So folgen in Kürze weitere Revisionen und neue Vorschriften auf Gesetzes- und Verordnungsebene: Bundesgesetz über Aufsicht und Transparenz im Energiegrosshandel, Risikominimierung bei systemrelevanten Stromunternehmen, Gasversorgungsgesetz, Stromreserve und Wasserstoffstrategie, aber auch die Beschleunigungsvorlage erneuerbare Energien sowie die «Blackout»- Initiative stehen dieses und nächstes Jahr an, was auch die Frage der Kernenergie wieder auf den Tisch bringt. Daneben laufen auf Planungs- bzw. Projektebene der sogenannte «Solarexpress» und der «Windexpress».
Phyllis Scholl, Leiterin Rechtsberatung, Partner
Die Anlagestrategie im 3. Quartal 2024
Die Wirtschaftsentwicklung wird länger als erwartet schwach bleiben. Die Inflationsraten dürften sich weiter zurückbilden und den Notenbanken ermöglichen, in den nächsten 12 Monaten die Leitzinsen auf ein wachstumsneutrales Niveau abzusenken. Wir erwarten eine Fortsetzung des Aufwärtstrends an den Börsen. Die Entwicklung der geopolitischen Lage stellt aber ein erhebliches Prognoserisiko dar.
Wirtschaftliches Umfeld
Im zurückliegenden Quartal mehrten sich die Zeichen eines Rückgangs der Konsumfreudigkeit in den USA. Insgesamt deuten die Indikatoren auf eine schwächere Wirtschaftsleistung in den kommenden Monaten hin. Der Rückgang der Inflationsrate hat etwas an Dynamik eingebüsst, dennoch ist davon auszugehen, dass sich die Kerninflation weiter zurückbildet und das FED im Umfeld einer sich abschwächenden Wirtschaft die Zinsen im September oder spätestens im Dezember das erste Mal senken wird. Die Inflationsraten in Europa bilden sich nur langsam zurück, gleichzeitig befindet sich die Industrie in einer Schwächephase. Weitere Zinssenkungen der EZB und auch der SNB dürften folgen. Wir rechnen mit einer wirtschaftlichen Belebung erst im 1. Halbjahr 2025. In China erwarten wir im weiteren Jahresverlauf zusätzliche Massnahmen zur Stabilisierung des Immobilienmarktes und eine zaghafte Rückkehr auf den Wachstumskurs. Der drohende Handelskrieg mit Europa und den USA ist ein erheblicher Unsicherheitsfaktor – auch für die Aussichten in den USA und Europa.
Aktienmärkte
Die Aktienmärkte haben die sinkenden Zinssenkungserwartungen im Laufe des 2. Quartals überraschend gut verkraftet. Gute Unternehmenszahlen aus dem Technologiesektor verhalfen den meisten Börsen zu neuen Höchstständen. Das Thema Künstliche Intelligenz hat weiter an Dynamik gewonnen und ist inzwischen das bestimmende Element für die Kursentwicklung. Allerdings nehmen die Märkte bereits viel vorweg und die Risiken sind deutlich gestiegen. Wir favorisieren deshalb neben dem Halbleitersektor zunehmend den Softwarebereich insbesondere in Bezug auf KI-Anwendungen. Der Kostendruck bei den Unternehmen durch die Deglobalisierung und die steigenden regulatorischen und ökologischen Anforderungen wird insgesamt zu höheren Investitionen in der Digitalisierung und Automatisierung der Prozesse und der Produktion führen. Mit dem Start des Zinssenkungszyklus des FED schwinden die Anlagealternativen wieder und wir erwarten, unterstützt durch steigende Volumen bei den Aktienrückkäufen und der positiven Gewinndynamik, eine Fortsetzung des Aufwärtstrends an den Börsen.
Anleihenmärkte
Das Zinsniveau bei längeren USD-Anleihen erachten wir als noch attraktiv. Im CHF und EUR bevorzugen wir mittlere Laufzeiten. Die Zinssenkungen der Notenbanken werden zu einer insgesamt tieferen, aber auch steileren Zinskurve führen.
Währungen
Der CHF dürfte aufgrund der unterschiedlichen Zinszyklen gegenüber dem EUR und dem USD wieder schwächer werden. Allerdings besteht ein grosser Unsicherheitsfaktor in Bezug auf die geopolitischen Risiken.
Daniel Waldmeier, Partner